8. November 2022
Aus meiner Sicht als Verhaltensberaterin und Hundebesitzerin müssen Hunde nur zwei Dinge wirklich können. An lockerer Leine gehen (nicht zu verwechseln mit der Position am „Fuss“) und alleine bleiben. Hierbei sollte sich der Hund natürlich auch wohl fühlen, also frei von Ängsten oder sonstigen Stressproblematiken sein. Klar, ein verlässlicher Rückruf ist auch was Feines, jedoch gibt es da einiges zu beachten, und in vielen Köpfen geistern da völlig unrealistische Vorstellungen herum, sodass ich da hier und jetzt nicht näher drauf eingehen möchte. Bleiben wir bei der Leine, dieses „Schreckgespenst“ vieler Hundehalter, weil sie es entweder nicht gut und richtig aufgebaut haben und deshalb wirklich ein regelrechtes Folterinstrument für den Hundehals und Menschenhände ist, oder als „Joch“, das dazu dient den Hund einzuschränken oder zu begrenzen und ihm, dem Hund, jegliche Lebensfreude nimmt. Leine als Strafe im Sinne von „Jetzt ist Schluss mit Lustig, jetzt kommst Du an die Leine!“ Ersteres mag noch stimmen, sehen wir das doch sehr oft im Alltag, und erleben natürlich die Problematik in der Hundeschule als unser täglich Brot, Zweites ist ausgemachter Quatsch (wenn die Leine richtig und vor allem auch früh genug dem Hund positiv vermittelt wird.) Ich vermeide hier absichtlich den Begriff „trainiert“, denn ein Hund, der fähig ist an einer lockeren Leine zu laufen ist in meinen Augen keinesfalls nur das Ergebnis eines konsequenten Leinenführigkeits-Trainings, sondern hat auch etwas mit Gemeinsamkeit, einer guten Bindung und nicht zuletzt auch mit Erziehung zu tun, und Erziehung lässt sich nicht trainieren. Meist läuft es bei den frischgebackenen Hundeeltern leider so. Der Welpe, der gerade neu eingezogen ist, darf natürlich völlig ohne Einschränkungen die Welt erkunden (meist möchte der Welpe das gar nicht, weil es ihn überfordert. Hier wäre es schon klüger, gemeinsam mit dem Hundekind an einer Leine die Welt zu erkunden, denn das gibt Sicherheit). Eine wichtige Komponente kommt noch erschwerend hinzu. Man hat in einem Fachbuch gelesen, dass es wichtig ist, dass der Welpe Kontakt zu vielen verschiedenen anderen Artgenossen haben muss, wegen der Sozialisation. Also wird dem Hund unbewusst jeder entgegenkommende Hund „zum Hallo sagen“ präsentiert. Der Welpe lernt dabei, dass jeder andere Artgenosse in seinem Sichtfeld ein Kontaktangebot ist. Günstiger wäre es gezielt Hundekontakte zuzulassen und den Rest getrost in Ruhe an sich vorbeiziehen zu lassen und seinem Hund zu signalisieren, dass nicht jeder Hund automatisch ein Spielpartner ist und dann die Party abgeht. Der natürliche Folgetrieb wird ausgenutzt, der Kleine entfernt sich nicht allzu weit vom Menschen, ist die große weite Welt doch zwar interessant, aber eben nicht alleine. Wozu braucht man da also eine Leine? Doch der Kleine wird größer, und er reift heran, die Umwelt wird interessanter, vielleicht sogar interessanter als seine Menschen und dann erst kommen viele Halter auf die Idee, nun doch mal eine Leine am Pubertier zu befestigen und einfach mal so davon auszugehen, dass das wohl klappen wird. Was es natürlich nicht tut, und wenn man einen Hund großer Rassen sein Eigen nennt, können diese auch schon mit nur ein paar Monaten tüchtig Gewicht zugelegt haben, was leider mit Sehnen, Bändern und Gelenke in der menschlichen Schulter irgendwie so gar nicht verträglich ist. Manch eine zierliche Hundebesitzerin ist dieser „Gewalt“ eines in die Leine preschenden Jungspunds körperlich gar überhaupt nicht gewachsen. Was lernt der Hund? Er lernt, dass der Spaß mit der Welterkundung oder dem Spiel mit Hundekumpels wohl scheinbar immer dann vorbei ist, wenn sein Halter ihm die Leine anhängt. Und da er zusätzlich auch gar nicht weiß, was von ihm erwartet wird, (nämlich ruhig und gelassen neben seinem Menschen herzulaufen, denn das hat ihm ja keiner beigebracht), wird die Leine erst einmal ignoriert und kräftig dorthin gezogen, wo man vorher auch immer hingehen durfte. Okay, es ist jetzt ein wenig mehr Kraftaufwand nötig, aber in der Regel gelingt es so ziemlich jedem Hund sich irgendwie mittelmäßig durchzusetzen. Egal ob es der Hundekumpel zu dem der Hund möchte, die Pipi-Stelle am Baum vom Nachbarshund, oder sonst etwas Interessantes am Waldboden. Hund zieht – Mensch folgt. Zumindest zunächst einmal. Oder auch aus der Not heraus, wenn ein kräftiger Vertreter seiner Rasse einfach nicht zu halten ist. Und schon steckt man mittendrin im Dilemma, so hatte man sich das nicht vorgestellt mit den entspannenden Spaziergängen. Das Fatale ist, ein verlässlicher Rückruf funktioniert meistens auch nicht, denn der wird ausschließlich über die Leine aufgebaut. Da man aber ja selten bis nie eine Leine genutzt hat, kann man Fifi nun auch nicht einfach weiter ohne Leine laufen lassen, denn der hat längst geblickt, das Nichts und Niemand ihn daran hindern kann dahin zu gehen wo ER gerade möchte. Und dabei ist es völlig unerheblich ob er der netten Nachbarshündin seine freundliche Aufwartung machen möchte, sich mit dem Erzfeind prügeln, mal am Eis des niedlichen Jungen im Kinderwagen lecken oder auch mal schauen ob man das Kaninchen, Reh oder Eichhörnchen nicht doch jagen kann. Dann trifft man sie im Wald oder auf dem Feld, die ganzen „Der tut nix, der will nur mal Hallo sagen“, weil Herrchen oder Frauchen längst lieber den Ärger mit anderen Hundehaltern in Kauf nimmt, als sich permanent vom angeleinten Vierbeiner durch die Gegend ziehen zu lassen. Dann werden vermeintlich ungefährliche Gegenden mit dem Hund aufgesucht, wo dieser dann ohne Leine laufen kann, und man dann das Ding mit der nicht vorhandenen Leinenführigkeit für einen kurzen Moment vergessen kann. Meist wird sich das Ziehen an der Leine dann auch noch schöngeredet. Sätze wie: „der war den Vormittag allein, jetzt muss der mal rennen“ oder „der freut sich immer so, wenn er andere Hunde sieht“, sollen das Verhalten des Hundes entschuldigen oder erklären. Das Laufen an lockerer Leine kann jedoch von jedem Hund gelernt werden, wohlbemerkt gelernt, nicht antrainiert, und je früher man damit anfängt, desto schneller versteht der Hund was von ihm erwartet wird und entspannten schönen Spaziergängen an Orten wo eben kein Freilauf möglich ist, steht nichts mehr im Wege. Und seien wir ehrlich, nach den verschiedensten Landeshundeverordnungen herrscht fast überall Leinenpflicht, selbst an Orten, wo man sie nicht vermutet. Nicht gleich jeder Wald ist auch ein „Freilaufgebiet“ und innerstädtisch gehören Hunde sowieso an die Leine. In einigen Städten, wie Hamburg zum Beispiel ist sogar die Leinenlänge (Führleine mit 1 mtr.) vorgeschrieben. Und es ist für Hunde auch überhaupt nicht schlimm nah beim Menschen zu laufen und mittels einer lockeren durchhängenden Leine gesichert zu sein. Das kann der Welpe lernen, aber auch genauso gut der Hund aus dem Tierschutz, der bisher keine Leine kannte, weil er auf der Straße lebte. Es erfordert nur ein wenig Sachverstand und Konsequenz vom Halter, dann hat jeder Hund das recht schnell verstanden. Wer glaubt, dass ein Hund nur glücklich ist, wenn er sich über mehrere hundert Meter von seinem Menschen entfernt sein eigenes Ding macht, der irrt. Das Gegenteil ist der Fall. Das Rudel bleibt gern zusammen. Hunde interagieren gern mit uns während eines Spaziergangs. Wir müssen es nur wahrnehmen. Was wir leider nicht können, wenn unser Kopf während der Zeit mit unserem Hund nur auf das Handy gerichtet ist, das man in der Hand hält. Oder wenn die Ohren durch Kopfhörer versperrt sind. Wir sollten die Gassi Gänge mit unseren Vierbeinern als Qualitätszeit sehen und nicht als lästige Pflichterfüllung, wie z.B. die Aussage „Ich muss noch schnell mit dem Hund raus“ durchblicken lässt. Unsere Hunde laufen fast immer an einer Leine, mal die 1 mtr. Führleine, mal die 2-3 mtr. Leine aber auch den Umgang mit der 10 mtr. Schleppleine haben sie gelernt. Auch im Wald. Warum auch nicht? Ob ich glaube, dass sie das als Strafe ansehen? Nein, warum sollten sie? Freilaufende Hunde im Wald, die das Unterholz durchstöbern, Bodenbrüter und andere Tiere aufmischen, oder plötzlich auf den Weg geschossen kommen, haben dort nichts verloren. Hunde, die in einem geringen Radius um ihre Halter in der Nähe bleiben, dürfen gern ohne Leine laufen, diese Hunde hätten aber auch kein Problem damit, wenn eine Leine dran wäre. Und genauso ist es für unsere Hunde. Im Gegenteil, die Leine gibt uns Sicherheit. Uns beiden, also mir und den Hunden. Vor rücksichtslosen E-Bikern zum Beispiel, wo eine Klingel entweder nicht mehr zur Grundausstattung des Rades gehört, oder aber in der Bedienungsanleitung über dessen Gebrauch nichts mehr zu lesen ist, die lautlos, gern von hinten kommend, mit einem Affenzahn an einem vorbeirauschen (und dies auch noch als ihr angestammtes Recht sehen!). Oder auch vor plötzlich auftretenden Reizen, wie Katzen oder Hinterlassenschaften von Pferden oder anderen Tieren. Natürlich haben wir den Rückruf geübt, ohne Reize (klappt natürlich gut), mit leichten Reizen (klappt auch gut), kurz vor der Fütterung mit super leckeren Keksen in der Tasche (klappt auch immer gut), und natürlich auch an plötzlich aus Einfahrten herausschießenden Katzen (klappt nicht) oder auch ganz frischen Pferdeäpfeln (klappt beim Rüden überhaupt nicht!). Und da ich eben nie weiß, wann plötzlich Reize auftauchen, die meinen Hunden dann doch verlockender erscheinen als meine Kekse, ist eben eine Leine dran. Ich bleibe dann natürlich auch mal stehen, wenn sie etwas Interessantes zum Schnüffeln gefunden haben. Es ist eben ein höfliches Miteinander. Zeit in eine gute Leinenführigkeit zu investieren lohnt sich also in doppelter Hinsicht. Sie sind überall gern gesehen mit Ihrem Hund, ob es in der Innenstadt ist, in einem Cafe, dem Biergarten oder auch im Wald. Und es ist nie zu spät einem Hund das Laufen an lockerer Leine beizubringen. Jede gute Hundeschule bietet solche Kurse an. Und Ihre Sehnen, Bänder und Gelenke danken es Ihnen allemal, und die Ihres Hundes auch.